Gedanken zum Karfreitag
Von Dekan Monsignore Richard Distler
Vor kurzem, bei unseren Neumarkter christlich-islamischen Kontaktgesprächen,
meinte ein Teilnehmer: Es sei die Aufgabe der Religionen, die Leiden der Menschen zu Gott zu bringen. Da kam mir unser christlicher Karfreitag in den Sinn. In der Tat ist das Leid die größte Herausforderung für jede Religion und jeden Glauben. Warum müssen Unschuldige leiden? Warum unternimmt Gott nichts dagegen, dass Menschen Leid erfahren? Warum hat Gott meinen Freund, meine Freundin nicht vor dem Unfall beschützt, so fragen schon Kinder?

Leid kann unseren Glauben erschüttern oder ganz zudecken, Leid kann furchtbar weh tun, es zehrt an körperlichen und seelischen Kräften, es macht mürbe und fordert unsere Gottesbeziehung heraus. Warum eigentlich nicht? Immerhin betet selbst der Christus und Gottessohn Jesus in seiner Karfreitagsstunde den Klagepsalm: "Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen?" Seine Klagen und Leidensqualen am Kreuz –ein Johann Sebastian Bach und viele andere haben sie durch ihre geniale Passionsmusik sogar klanglich hörbar gemacht! Leid
begegnet uns jeden Tag im Schicksal von Behinderten, Unfallopfern, Schwerkranken oder Suchtkranken. Leid begegnet uns aber auch im Familien- und Ehestreit, in Missverständnissen und Vorurteilen oder in Menschen, die andere verwunden und verletzen. Und nicht zuletzt in der Trauer derer, die um einen lieben Verstorbenen weinen.
Das Leid ist ein Kreuz und irgendwie kommen wir am Kreuz nicht vorbei. Aber wenn schon das Leid und das Kreuz allenthalben sichtbar und präsent sind, warum eigentlich ist für manche ausgerechnet das Kreuz in Klassenzimmern, Gerichtssälen oder auf Krankenstationen ein Ärgernis? Müsste denn nicht genau umgekehrt das Kreuz vor Ort bleiben, um uns alle stets daran zu erinnern: Mensch schau auf das Kreuz und vergiss die Leidenden nicht?
Auch um die Leidenden nicht zu vergessen, hatte gerade die Kirche seit Jahrhunderten den Mut, das Kreuz als Leidenssymbol in die Mitte des Glaubens zu stellen. Die christliche Religion wollte damit kundtun, es sei eben mit ihre wichtigste Aufgabe, die Leiden der Menschen zu Gott zu bringen. Mehr noch: Das Christentum hatte den Mut, den Menschen einen Gott vor Augen zu stellen, der selber Unsägliches gelitten hat und sich nicht scheute, einen grausamen Tod zu sterben.
Worum also geht es der Kirche, wenn sie ausgerechnet das Kreuz sosehr in die Mitte stellt? Es geht ihr darum, das Leid jedes einzelnen Menschen mit Gott in eine heilende Berührung zu bringen. Sie darf und muss das tun, weil Jesus am Kreuz mit jedem Leidenden total solidarisch ist, also sich ganz auf seine Seite stellt und ihm seine innige Nähe und Liebe schenken möchte. So gilt aus christlicher Sicht nicht mehr die Frage: Wo ist Gott im Leid, sondern die Frage: Wie kann ich mich in meinem Leid Gott soweit öffnen, dass er mich zuinnerst berühren und mich heilen kann?
Aber wie wird diese heilende Berührung im Leid fassbar und anschaubar? Sie wird fassbar in Jesus, der ohne jegliche Berührungsängste auf Aussätzige, Gelähmte, Blinde und Besessne zugeht und ihnen die göttliche Nähe, Zuwendung, Heilung und Liebe zuteil werden lässt. Höhepunkt dieser göttlichen Zuwendung ist seine Selbsthingabe an Gott und an alle Leidenden dieser Welt am Kreuz. Auf diesen sich für alle hingebenden und mit allen leidenden Gott verweist uns bereits der Evangelist Johannes, wenn er seine Passion mit den Worten beschließt: "Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben!"
Dass von diesem leidenden Gott Heil und Segen ausgeht, darauf verweist uns auch die Karfreitagsliturgie, wenn der Priester bei der Kreuzenthüllung singt:"Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt!" Die Gläubigen knien dann nieder und antworten: "Kommt lasset uns anbeten!" Doch damit nicht genug: Der Karfreitag zeigt uns nicht bloß die totale Nähe Gottes zu den Leidenden, sondern auch seine Nähe zu den Sterbenden und zu den Toten. Denn auf die Finsternis des Karfreitags folgt die Osternacht, es ist jene Nacht, in der Christus hinabsteigt in die Tiefen des Todes und unsere Verstorbenen ins Licht und ins neue Leben führt.
01.04.10
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