War es "versuchter Mord"?

Oberstaatsanwalt Walter Knorr vertritt die Anklage.
Fotos: Erich Zwick
NEUMARKT/NÜRNBERG. Die Anklage lautet auf "Versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung". Lässt sich dieser schwerwiegende Vorwurf noch aufrecht erhalten?, fragen sich Prozeßbeobachter nach dem zweiten Verhandlungstag. Bleibt am Ende ein versuchter Totschlag oder gar "nur" eine gefährliche Körperverletzung übrig, derentwegen der 32 Jahre alte Josua P. vor dem Schwurgericht steht. Ihm wird zur Last gelegt, seine Freundin in Tötungsabsicht mit einem Beil angegriffen zu haben (
neumarktonline berichtete).
Weggefährten des Angeklagten zeichneten als Zeugen ein ganz anderes Bild von einem Menschen, der sich vor der schrecklichen Bluttat an der damals 26jährigen Neumarkter Zahnarzthelferin Kathrin S. noch nie etwas hatte zuschulden kommen lassen.
So lobte der frühere Arbeitgeber des Elektronikers seinen ehemaligen Mitarbeiter über alle Maßen. Er habe eine "super Arbeitsleistung" gebracht, sei zu den Kunden stets zuvorkommend und hilfsbereit gewesen und im Betrieb wie ein Mitglied der Familie behandelt worden, dem sogar die Leitung einer Filiale anvertraut worden war. Zufriedene Geschäftspartner hätten ihn zum Dank öfter zum Essen eingeladen.

Gutachter Dr. Michael Wörthmüller schließt eine
Affekthandlung nicht aus.
Da sah der Geschäftsmann großzügig über ein gesundheitliches Handicap hinweg. Gelegentlich sei Josua P. in ein Zuckerkoma gefallen, das ihm das Bewußtsein raubte und er sich hinterher an nichts mehr habe erinnern können. Diese Anfälle seien zwar rasch vorüber gegangen - nur einmal hätte man den Rettungsdienst zu Hilfe rufen müssen, der den Aussetzer auch nicht anders als mit Traubenzucker behandelte.
Am Tag der Tat - sie geschah in den Abendstunden des 2. Mai vergangenen Jahres - sei Josua P. "gut drauf" gewesen. Keiner hätte ihm die mörderische Attacke ein paar Stunden später zugetraut. Im Gegenteil: Der Arbeitgeber entnahm dem Verhalten seines Mitarbeiters, dass er mit seiner Neumarkter Freundin "sehr glücklich" war, da er mehrfach angedeutet hatte, dass er mit ihr "zusammen bleiben" wolle. Das freute den Arbeitgeber um so mehr als er von einer vorausgegangenen gescheiterten Beziehung seines Angestellten wusste.
Um so größer die Verwunderung, als seine "rechte Hand" am 3. Mai 2005 nicht zur Arbeit erschien und er statt dessen einen Zettel vorfand, auf dem stand: "Tut mir leid, dass ich euch so enttäuscht habe. Josua".
Auch für Albrecht S. aus Fürth, der eine acht Jahre lange Freundschaft mit dem Angeklagten pflegte, war die Tat ebenfalls unerklärlich, obwohl er am Morgen des 3. Mai von einem unguten Gefühl beschlichen wurde. Er hatte in den Radionachrichten von der Fahndung gehört und gehofft, dass der Gesuchte nicht Josua ist. Die Hoffnung erwies sich als trügerisch.
Vor Gericht schilderte er den Freund als einen umgänglichen Menschen, räumte aber Meinungsverschiedenheiten mit der Zahnarzthelferin ein, bei denen er unfreiwillig Augen- und Ohrenzeuge wurde. Aber das Paar hätte sich immer wieder nach Aussprachen versöhnt. Wie sehr Josua an Kathrin hing, wollte er auch darin erblickt haben, dass sowohl Josuas Motorrad als auch das später gemeinsam angeschaffte Auto die Buchstabenkombination KJ, bzw. JK (für Kathrin und Josua) am Nummernschild trug.
Psychiater Dr. Michael Wörthmüller fiel als Gutachter die nicht beneidenswerte Aufgabe zu, abzuwägen, ob der Täter vorsätzlich einen Mord begehen wollte oder ob er im Affekt zugeschlagen hat. Doch hier blieb der erfahrene Experte eine verbindliche Antwort schuldig. Das hänge davon ab, welcher Tatvariante das Gericht Glauben schenkt. Hatte Josua P. den Spaten und das Beil dabei, weil er einen Baum ausgraben wollte (wozu braucht man da ein Beil?). Hatte er im Affekt gehandelt, weil er in ein Zuckerkoma verfiel (nach der Tat hatte er einen Wert von 454 und musste sich eine Insulinspritze geben - Vorsitzender Richter Peter Wörner: "Das ist kein Unterzucker!").
Die Verhandlung wird am Dienstag, 17. Oktober, mit weiteren Zeugen - unter ihnen die Mutter des Angeklagten - fortgesetzt.
Erich Zwick
13.10.06
neumarktonline: War es "versuchter Mord"?