Als Arzt im Bürgerkriegsland


Dr. Götz Gerresheim arbeitete für „Ärzte ohne Grenzen“ im Bürgerkriegsland Jemen

NEUMARKT. Vom fernen Krisengebiet nach Hause ins ebenfalls krisengeschüttelte Deutschland: ein Arzt des Neumarkter Klinikums kehrte jetzt aus Jemen zurück.

Der Anästhesist und Notfallmediziner Dr. Götz Gerresheim arbeitete mehrere Wochen für „Ärzte ohne Grenzen“ im Bürgerkriegsland Jemen. Ausgangsbeschränkungen gab es auch da - allerdings wegen Schießereien auf der Straße.

Der 50jährige Narkose-Arzt aus Neumarkt hat das internationale Team von „Ärzte ohne Grenzen“ in Aden für vier Wochen unterstützt. Jetzt arbeitet Dr. Gerresheim wieder in Neumarkt als Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schwemmer. Er beendete seinen sechsten Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“.

„Alle unsere Patienten waren Opfer von Gewalt“, berichtet der Mediziner. „Die meisten unserer Patienten stammten direkt aus dem Großraum von Aden und hatten Schussverletzungen erlitten. Sicher 80 Prozent der Patienten, die ich zusammen mit den einheimischen Ärzten alltäglich in der Notaufnahme behandelt habe, wurden durch einen oder mehrere Schüsse verletzt“. Dabei war aber nicht jede Schussverletzung gleich ein Notfall, manchmal galt es nur eine Fleischwunde zu versorgen, andere Male - gerade wenn große Blutgefäße verletzt wurden - „musste es ganz schnell gehen und wir sind gleich in den Operationssaal gefahren“, berichtet der Arzt.

Die eigentliche Frontlinie der Kämpfe verläuft zur Zeit gut 150 Kilometer weiter nördlich – dort sind weitere Teams von „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort, die einige Patienten nach einer ersten Stabilisierung nach Aden verlegt haben. „Wir haben täglich zwei Patienten von den anderen Teams übernommen“, schätzt Gerresheim, „die hatten dann meist komplexe Verletzungen durch Explosionen.“


Ärzte ohne Grenzen konnte diese größere Klinik in Aden aufbauen, da die Sicherheitslage dort zur Zeit recht stabil ist und so konnten auch Patienten mit komplizierten Verletzungen behandelt werden. Der Neumarkter Arzt war sehr von der medizinischen Behandlungsqualität vor Ort beeindruckt: „Man merkte, dass alle gemeinsam das Beste erreichen wollten und medizinisch hatte ich viel mehr Möglichkeiten als in meinen anderen Projekten“. Die einfache Tatsache, dass man kontinuierlich Strom zur Verfügung hatte, erweiterte die Möglichkeiten deutlich. „Wir haben zum Beispiel eine Intensivstation eingerichtet, auf der wir die besonders kritisch Verletzten nach großen Operationen für ein paar Tage künstlich beatmen konnten. Das war für mehrere Menschen in meiner Zeit ganz sicher rettend“.

„Ganz persönlich habe ich mich während meines Einsatzes immer sicher gefühlt“, so der Mediziner. „Man hat oft die Schüsse in den Straßen gehört, deswegen durften wir das Krankenhaus auch nicht verlassen, es gab aber keinen Moment, in dem ich an unserer Sicherheit gezweifelt habe.“

Inzwischen arbeitet Dr. Gerresheim wieder auf der Intensivstation des Klinikums in Neumarkt.

„Ich glaube, dass in der Klinik in den kommenden Wochen sehr große Herausforderungen auf uns zukommen werden und ich fürchte, dass wir uns noch gar nicht recht vorstellen können, was es zu bewältigen gibt“, sagt er zur Situation in Neumarkt. Alle im Haus würden sich ruhig und sehr gut geplant vorbereiten. Besonders stolz sei er auf das Team der Pflege: „Das sind ja diejenigen, die die meiste Zeit mit den infizierten Patienten verbringen und die merken jetzt schon, dass sehr viel und sehr schwierige Arbeit auf uns zukommt“.

Ein wichtiger Apell steht auf einem Schild, das am Eingang der Intensivstation im Klinikum hängt - wo sie freilich von den meisten Adressaten nicht gelesen werden kann: „Wir bleiben für Euch da – bleibt Ihr für uns daheim“.

Im vom Bürgerkrieg erschütterten Jemen herrscht ein blutiger Bürgerkrieg. Seit nun fünf Jahren kämpfen Huthi-Rebellen aus dem Norden des Landes gegen Truppen der international anerkannten Regierung. Die Rebellengruppen werden dabei durch den Iran, die jemenitische Regierung hingegen durch eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition unterstützt. Wegen der strategisch wichtigen Lage des Landes am Roten Meer und dem Golf von Aden werden innerhalb der jemenitischen Staatsgrenzen Interessen internationaler Mächte ausgetragen – leidtragend ist in erster Linie die zivile Bevölkerung.

Die Vereinten Nationen bezeichneten die Lage im Jemen unlängst als die aktuell „größte humanitäre Katastrophe“ weltweit. Die Menschen des Landes leiden nicht nur an den direkten Folgen der Kampfhandlungen, sondern auch an Hunger. Eine nahezu vollständige Blockade der See-, Land- und Luftwege hat die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und direkten Hilfsgütern erschwert. Den Vereinten Nationen zufolge sind im Jemen zurzeit rund zehn Millionen Menschen von einer Hungersnot betroffen oder bedroht. Die Welthungerhilfe beziffert die Zahl der akut unterernährten Kinder auf rund zwei Millionen.

Die humanitäre Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ leistet seit Beginn des Krieges ununterbrochene Nothilfe für die jemenitische Bevölkerung. Zur Zeit arbeiten die Teams in zwölf Krankenhäusern an mehreren Orten des Landes und mittlerweile ist der Einsatz im Jemen einer der größten für „Ärzte ohne Grenzen“ weltweit. Der überwiegende Teil der Menschen hat keinen freien Zugang zu einer qualifizierten medizinischen Versorgung. Unter anderem betreibt die internationale Organisation in der Hafenstadt Aden, ganz im Süden des Landes, eine Klinik für Verletzte.

27.03.20
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